„Du Idiot !“
„Hast du deinen Führerschein beim Saufen gewonnen ?“
„Gehirnamputierte Menschen dürfen nicht ans Steuer !“
Welche Sätze benutzt du für andere Verkehrsteilnehmer?
Wie nennt man das Phänomen, wenn ausgewogene, erzogene Erwachsene plötzlich zu unflätigen, fluchenden und zankenden Monstern werden?
Straßenverkehr – auch bekannt als das Irrenhaus auf vier Rädern.
Wer mich kennt, der weiß: Ich bin ein furchtbar ungeduldiger Autofahrer.
Nein, ich bin kein Raser. Mich regt nur eine Sache tierisch auf:
Im Stau stehen.
Ich werde extrem unruhig, genervt und ärgere mich über die verlorene Lebenszeit. Zeit ist mein wertvollstes Gut und deshalb werde ich so wütend, wenn sie mir jemand stiehlt.
Ich fühle mich wie Jeckill und Hyde.
Ich erinnere mich dabei immer an den Cartoon von Goofy, in dem er ein ruhiger Fußgänger ist (Herr Ruhigblut) und zum wütenden Raser wird, sobald er sich ans Steuer setzt (Herr Bleifuß).
Erkennst du dich wieder?
Ich schon.
Meine Frau hilft mir auch dabei, mich von der Seite zu sehen und zu erkennen, was für ein ungeduldiger Autofahrer ich bin.
Deshalb habe ich entschlossen, etwas zu ändern.
Ich arbeite an einer neuen Kunst.
Ich nenne es: Die Kunst, im Stau zu stehen.
Ich denke, es ist eine Kunst, die unserer Gesellschaft verloren gegangen ist. Alles muss nur noch schneller, direkter und hastiger passieren. Die Menschen wollen schnell reich werden, schnell abnehmen und schnell am Ziel sein.
Müßiggang ist ein Fremdwort. Gelassenheit wurde durch Empörung ersetzt.
Deshalb habe ich mir ein Ziel gesetzt: Gelassenheit lernen.
Das Gelassenheitsgebet
Dazu gibt es ein berühmtes Gebet aus den 40er Jahren:
„Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“
– © Reinhold Niebuhr (1892 – 1972), US-amerikanischer Theologe, Philosoph und Politikwissenschaftler
Ich kenne diesen Spruch schon seit Jahren. Aber wie das mit Lebensweisheiten halt so ist: Sie zu kennen und sie zu leben, sind zwei verschiedene Dinge.
Und natürlich hatte ich diesen Sommer, als ich mit meiner Familie nach Kroatien fuhr, direkt die Möglichkeit zu üben.

An der kroatischen Grenze entstand – überraschenderweise – ein Stau.
Die Zeit der Prüfung war gekommen.
Habe ich die Prüfung bestanden?
Ich vermute mal ja, aber mit einer 3 (befriedigend). Damals wäre ich mit einer 5 (mangelhaft) durchgerasselt.
Ganz kalt ließ mich der Stau nicht – doch ich war deutlich gelassener als damals.
Die Stoiker – die ersten Anfänge des Gelassenheitsgebets?
Wenn du dich in Herrn Bleifuß wiedererkennst, dann rate ich dir, die großen Stoiker zu lesen.
Epiktet sagte schon vor tausenden von Jahren:
„Das eine steht in unserer Macht, das andere nicht. In unserer Macht stehen: Annehmen und Auffassen, Handeln-Wollen, Begehren und Ablehnen – alles, was wir selbst in Gang setzen und zu verantworten haben. Nicht in unserer Macht stehen: unser Körper, unser Besitz, unser gesellschaftliches Ansehen, unsere Stellung – kurz: alles, was wir selbst nicht in Gang setzen und zu verantworten haben.“
– Epiktet, Handbüchlein der Moral
Oder noch besser sagte es Marcus Aurelius (meine freie Übersetzung):
„Du hast die Macht über deinen Verstand – nicht über äußere Umstände. Erkenne dies und du wirst Kraft finden.“
– Marcus Aurelius
Ich bin zwar kein Stoiker, aber diese Philosophie finde großartig.
So hat man während des Staus die Wahl, wie man darauf reagiert. Wie man die Zeit nutzt, die man im Auto oder auf dem Parkplatz hat.
So zum Beispiel nutzte ich die Zeit mit meinen Freunden auf dem Parkplatz während einer Autobahnsperrung:
Die Ursache des Bösen
Ich will hier nicht den großen Zeigefinger rauspacken, aber ich glaube eine der großen Ursachen liegt darin, dass Menschen sich selbst viel zu wichtig und zu ernst nehmen.
In dem Buch „Die Vier Versprechen„* erklärt der Autor, dass es die höchste Form des Egoismus ist, alles persönlich zu nehmen.
Instagram und Co. tragen noch dazu bei, dass Menschen versuchen ein perfektes Bild von sich zu erschaffen. Falten werden wegretuschiert, traurige Bilder werden nicht veröffentlicht und „lächerlich“ möchte sowieso niemand erscheinen.
Doch es ist eine wichtige Übung für Gelassenheit und Freude im Leben, das Leben mit Humor zu nehmen und sich selbst nicht allzu wichtig zu geben.
Die eigene Unperfektion zu akzeptieren.
Deshalb albern wir gerne bei Familienfotos herum:

Deshalb ist mein Youtube-Channel nicht hochglanzpoliert, sondern einfach nur eins: echt.
Was unsere Gesellschaft braucht
Ich glaube unsere Gesellschaft braucht mehr Gelassenheit.
Das merke ich an mir – das merke ich aber auch an meinem Umfeld.
Das Problem ist: Hysterie, Aufregung und Empörung sind extrem ansteckend und leider lassen wir uns zu oft von solchen Menschen beeinflussen.
Zu schnell entdecken wir uns beim „meckern.“
Der Zentralrat der Empörten ist empört !
Ich möchte deshalb einen Aufruf an dich und vor allem an mich selbst machen:
Sei gelassen.
Lerne die Kunst, im Stau zu stehen.
Akzeptiere die Unperfektion anderer.
Bedecke Fehler, vergrößere sie nicht.
Entspann dich.
Trink einen Kaffee und genieße den Stau.

Eine Gelassenheitsübung
Zum Abschluss noch eine konkrete Übung, die mir hilft, gelassener zu sein.
- Die Augen schließen.
- Tief und langsam einatmen.
- Tief und langsam ausatmen.
- Und mache dir dabei klar: Egal, was dir gerade passiert. Du hast die Wahl, wie du darauf reagierst.
Ich wünsche dir einen gelassenen Tag.
Dein Walter
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Hallo Walter, sehr schöner Blogpost zu einem sehr wichtigen Thema unserer Zeit. Ich nehme den Satz “aus Gelassenheit wurde Empörung” mit.
Danke dir und ich hoffe, dass du den mitgenommenen Satz nicht so schnell verlierst 🙂
LG, Walter
Ganz top! “Zufälligerweise” brauchte ich dein Email genau jetzt. Danke. 🙂
Gerne. Es freut mich, wenn ich jemandem helfen konnte.
LG, Walter
Zum Abschluss noch eine konkrete Übung, die mir hilft, gelassener zu sein.
Die Augen schließen.
Tief und langsam einatmen.
Tief und langsam ausatmen.
Und mache dir dabei klar: Egal, was dir gerade passiert. Du hast die Wahl, wie du darauf reagierst.
Vergiss bitte nicht das ommm…..ommm….ommm…ommm.
Schöner Artikel.
Habe mich ertappt.
Ich möchte auch nicht, dass man mir je eine Sekunde meiner Zeit maust. Zeit ist das wertvollste. Sie ist so kurz bis wir ins dunkle Loch steigen.
Vielen lieben Dank Cornelia
Wer will kann Omm Omm machen.
Ich mache es ohne 😂
Moin Walter!
Wie immer schön geschrieben und eines der größten Probleme des ‚zivilisierten‘ Menschen beleuchtet.
Ich meditiere jeden Morgen und Abend. Warum? Zur Entspannung? Um die Gedanken abzuschalten? Auf die Erleuchtung wartend? Vermutlich von allem ein bisschen. Was ich lerne ist – still sitzen. Nichts tun. Die Gedanken und Gefühle beobachten.
Der Praxistest kommt immer dann, wenn ich hinter dem Steuer sitze. Manchmal bestehe ich ihn, oft falle ich durch die Prüfung.
Es ist IMMER der Moment, in dem ich erkenne, wo ich stehe.
Wie beim Musizieren: Was mein häusliches Üben bewirkt, merke ich beim Zusammenspiel mit anderen. Üben ist kein Selbstzweck. Es soll mich auf die konkrete Situation vorbereiten. Auf der Bühne beim Improvisieren, im Übungsraum bei der Probe, im Unterricht beim Vermitteln von Wissen und Fertigkeiten.
Was erfährt man beim Lernen und Üben (und Unterrichten…)?
Scheitern ist der Normalfall. Normal ist, dass es nicht klappt. Also: weitermachen. Irgendwann klappt’s. So haben wir laufen gelernt, sprechen, Essen mit Besteck und Radfahren.
Was mir im konkreten Fall hilft: Der Stau ist meine Meditationsübung. Ich bekomme Zeit für mich geschenkt.
Der Gedanke: Auch das geht vorbei.
Einer der mächtigsten Gedanken im Universum.
Der Stau geht vorbei.
Mein Leben geht vorbei.
Vermutlich schneller, wenn ich mich aufrege und die Pumpe rast.
Deine Atemübung möchte ich ergänzen:
Ich zähle beim Einatmen bis 4.
Den Atmen halten (ohne den Kehldeckel zu verschließen) und bis 16 zählen.
Ausatmen und dabei bis 8 zählen.
Ausgeatmet bis 8 zählen.
Von vorne.
Beim Zählen richte ich mich nach meinem Herzschlag. Meistens kann ich ihn spüren. Wenn nicht, fühle ich den Puls am linken Handgelenk. Mein Herzschlag ist mein Metrum.
Wenn’s mal wieder nicht klappt mit Ruhe und Gelassenheit schaue ich auf’s Armaturenbrett. Da klebt ein Zettel mit meinem Lieblingsspruch von Samuel Beckett:
Ever tried.
Ever failed.
No matter.
Try again.
Fail again.
Fail better.
Gutes Gelingen und entspanntes Ankommen!
Markus
Sehr gutes Zitat 🙂 Danke Markus.
Hallo Walter,
ich kann dir das Hörbuch „12 Schlüssel zur Gelassenheit“ von Sabine Asgodom empfehlen.
L.G. Desiree
Danke dir. Ich höre es mir mal an 🙂
LG, Walter