
Mir kamen die Tränen.
Ich war an einen Stuhl gefesselt und konnte mich kein Stück bewegen. Ich zerrte mit aller Kraft an den Seilen, doch mein Körper bewegte sich keinen Zentimeter.
Meine Brüder hatten ganze Arbeit geleistet.
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Wir spielten ein Spiel: Fessele den Bruder.
Meine zwei älteren Brüder waren dabei so sorgfältig vorgegangen wie übermotivierte Gefängnisaufseher, die sicher gehen wollten, dass der Schwerverbrecher nicht fliehen konnte.
Nach einigen erfolglosen Sekunden, mich zu befreien, kamen mir die Tränen.
Nicht wegen der Schmerzen. Die Seile taten mir nicht weh.
Sondern wegen der Machtlosigkeit.
Das Gefühl der Hilflosigkeit überkam mich so stark, dass ich mich selbst nach mehr als zwanzig Jahren immer noch daran erinnere.
Ein schreckliches Gefühl.
Leider erleben viele Menschen dieses Gefühl jeden Tag – auf der Arbeit, zuhause, beim Fernsehen.
Dieses Gefühl der Machtlosigkeit und des Kontrollverlustes stresst uns extrem.
Wir versuchen die Kontrolle zurückzugewinnen.
Scheitern.
Und das stresst uns noch mehr.
Wie kommen wir da wieder raus?
Wie können wir das Gefühl der Kontrolle zurückerlangen?
Eigentlich ganz einfach.
Warum das Gefühl der Kontrolle so entscheidend ist
Damit wir uns richtig verstehen:
Es geht mir nicht darum, echte Kontrolle zu erlangen.
Volle Kontrolle ist eine Illusion.
Denn in Wirklichkeit können wir viel weniger kontrollieren als uns lieb ist.
In Wirklichkeit können wir NICHTS zu 100% kontrollieren.
Wenn du bei Grün über die Straße gehst, dann hast du keine Kontrolle über den Autofahrer, der sich von seinem Handy ablenken lässt und dich über den Haufen fährt.
Als Vater hast du keine Kontrolle darüber, wie sich dein Kind verhält.
Du hast keine Kontrolle darüber, ob dein Partner mit dir Schluss macht.
Natürlich hast du einen gewissen Grad an Einfluss.
Aber niemals 100%ige Kontrolle.
Manche finden diese Vorstellung erschreckend.
Ich finde diese Erkenntnis befreiend.
Wie es im Johannes-Evangelium steht: Die Wahrheit wird euch frei machen.
Da ich weiß, dass ich nichts zu 100% kontrollieren kann, bemühe ich mich auch nicht darum.
Stattdessen bemühe ich mich um eine Sache:
Das Gefühl der Kontrolle.
Denn nur darum geht es. (Siehe diese Untersuchung)
Warum?
Im "World Happiness Report" findest du eine Antwort.
Dort gaben Arbeitnehmer an, was sie an ihrer Arbeit "glücklich" macht.
Ein wichtiger Punkt: Autonomie.
Wenn du deinen Tag selbst gestalten kannst, deine Aufgaben selbst einteilen kannst und deine Arbeit auch eine Auswirkung auf das Endergebnis hat, dann hast du das Gefühl der Kontrolle.
Und das macht dich glücklich.
Du fühlst dich nicht wie ein nutzloses Zahnrad, das nichts zu melden hat (selbst wenn dies in Wirklichkeit der Fall ist).
Am Ende des Tages geht also nicht um echte Kontrolle.
Sondern nur um das Gefühl der Kontrolle.
Doch selbst dieses Gefühl haben die meisten Menschen verloren und sind deshalb so angespannt, gestresst und schauen jeden Tag mit Sorgen die Tagesschau.
Wie du dieses Gefühl zurückerlangst
Das Gefühl der Kontrolle bekommst du zurück, wenn du zwei Dinge tust:
1. Hör auf, Dinge kontrollieren zu wollen, die außerhalb deiner Macht liegen.
2. Fang an, die Dinge zu kontrollieren, die in deiner Macht stehen.
Klingt erstmal logisch, doch die Wenigsten tun dies auch.
Beispiel:
Wenn du dich über den Fahrer im Auto vor dir ärgerst, dann versuchst du den Fahrer vor dir zu kontrollieren ("Fahr doch schneller") und verlierst die Kontrolle über deine Emotionen und wirst wütend ("Dieser Idiot...").
Dabei sollte es doch genau anders herum sein:
Kontrolliere deine Emotionen ("Ich genieße die Musik im Radio") und lass den Fahrer vor dir nach seiner Fasson weiterfahren ("Er tut in seinen Augen das Richtige").
Heißt:
Ich kann nur eine Sache kontrollieren: meine Gedanken.
Diese beeinflussen dann meine Emotionen.
Diese beeinflussen meine Entscheidungen.
Diese beeinflussen meine Handlungen.
Diese beeinflussen meine Ergebnisse.
Eine einfache Kette:
Gedanken -> Gefühle -> Entscheidungen -> Handlungen -> Ergebnisse.
Und jetzt rate Mal, was dir ein Gefühl von Kontrolle gibt?
Genau, Ergebnisse.
Selbst kleine Ergebnisse, die deinen Zielen entsprechen, sorgen dafür, dass du dich wie der Herr deines kleinen Universums namens "Ich" fühlst.
Bedeutet:
Wenn du ein Gefühl der Kontrolle haben möchtest – und dich damit viel besser im Alltag fühlen möchtest – dann fokussiere dich nur auf eins:
Auf deine Gedanken.
Diese kannst du kontrollieren.
„Das Leben ist 10%, was uns widerfährt und 90% wie wir darauf reagieren.“– Dennis P. Kimbro
Zitat stammt aus: 99 Lebensweisheiten.
Du kannst andere Menschen und ihr Handeln nicht kontrollieren.
Kontrolliere deine Gedanken.
So bist du nicht mehr das Opfer, sondern der Täter.
Wie ich das Gefühl der Kontrolle zurückgewonnen habe
Kommen wir zurück zu unserem Gleichnis mit den Fruchtfliegen.
Ich habe aufgehört zu versuchen, den Fliegen Befehle zu erteilen: "Tue dies, handle so, hört auf hier herumzufliegen."
Das führte nur zu Frust und dem Gefühl der Hilflosigkeit, weil keine einzige Fruchtfliege auf mich hören wollte.
Was tat ich?
Ich nahm den Staubsauger und saugte alle Fruchtfliegen einfach ein.
Sprich: Ich fokussierte mich auf mein Handeln.
Nicht auf das Handeln der Fruchtfliegen.
Damit kommen wir zu Prinzip #1, um nicht wahnsinnig zu werden:
Kontrolliere deine Gedanken
Es ist die einzige Sache, die du wirklich kontrollieren kannst.
Ein praktisches Beispiel
Hier ein ganz praktisches Beispiel, wie ich dieses Prinzip im Alltag anwende.
Vor kurzem bekam ich einen saftigen Bescheid vom Finanzamt.
Ich war innerhalb eines Tages um eine fünfstellige Summe ärmer.
Der erste Impuls?
Wut.
Doch dann erinnerte ich mich an das Prinzip der Gedankenkontrolle und fokussierte mich auf meine Gedanken.
Den Bescheid des Finanzamtes kann ich nicht kontrollieren – dieser ist rechtmäßig ergangen. Hat mein Steuerberater schon geprüft 🙂
Also kontrollierte ich das, was in meiner Macht war: meine Reaktion.
Anstatt wütend darauf zu sein, "dass die Gans zu viel futtert", habe ich mir überlegt, wie ich mehr Geld verdienen kann, damit das Füttern der Gans nicht mehr so schmerzhaft ist. Ich habe angefangen zu planen, wie ich ich weniger Futter an die Gans abgeben kann (Steueroptimierung) und habe direkt neue Produktideen entwickelt, um mehr Gewinn zu erwirtschaften.
Sprich: Ich habe bei mir angesetzt. Nicht beim Finanzamt.
So war die Wut innerhalb eines Tages verarbeitet.
Ja, unsere Gans in Berlin ist gierig.
Das kann ich nicht ändern.
Aber ich kann ändern, wie ich auf diese gierige Gans reagiere.
Steuern zahlen muss ich so oder so. Also habe ich mich entschieden sie mit Freude zu zahlen (und mein Unternehmen steuerlich zu optimieren - soweit es rechtlich möglich ist).
Albert Schweitzer sagte:
"Die größte Entdeckung jeder Generation ist es, dass sie ihr Leben verändern kann, wenn sie ihre Geisteshaltung ändert."
Ich habe meine Wahrnehmung geändert.
Fühlt sich direkt viel besser an.
So habe ich das Gefühl, dass ich der Herr meines Lebens bin.
Und das bewahrt mich davor, wahnsinnig (und wütend) zu werden.
Sei großartig,
Dein Walter
PS
Vor allem in der aktuellen Situation heißt das für mich:
Ich ärgere mich niemals über Nachrichten oder Politiker. (Grundsätzlich verfolge ich seit Jahren keine Nachrichten - Corona war da eine kurze Ausnahme).
Anstatt über den Regen in unserem Land zu schimpfen, baue ich an meiner Arche.
Ich versuche nicht die Fruchtfliegen zu kontrollieren – ich setze bei mir an.
Heißt: Ich wirke in meinem Wirkungskreis.
PPS
Lass mich deine Gedanken zu diesem Thema wissen.
Schreibe es gerne in die Kommentare.
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Danke für diese Inspiration, Walter. Im Prinzip weiß man das , aber denkt man immer daran? Hat man es verinnerlicht? Findet man immer den richtigen Punkt, an dem man bei sich selber ansetzen kann? Mir gelingt das nicht immer … ist vielleicht auch von der Tagesform abhänging. Also daher nochmals vielen Dank für`s Erinnern und Ermutigen!
Ich bin da ja auch längst kein Meister, sondern ein Schüler.
Und lade dich ein mit mir zu üben 🙂
LG Walter
Was kann ich beeinflussen? Meine Gedanken, meine Reaktionen, meine Worte, mein Handeln. Ich kann dazu beitragen, dass sich Menschen in meiner Nähe wohl fühlen. Mich darum zu kümmern schenkt inneren Ruihe, gibt ein Gefühl von Selbstwirksamkeit und führt insgesamt zu einem gelingenden Leben. Und das ist eine Lebensaufgabe, dennallzuoft verliere ich mich im täglichen Klein-Klein mit unfähigen Politiker, Chefs, Autofahrern, dem unpassenden Weetter etc.
Danke für die Erinnerung an das, worauf es ankommt.
Sehr gerne.
War in erster Linie eine Erinnerung an mich selbst 😀
LG, Walter
Jau, das ist eben der Unterschied zwischen Interessensbereich und Einflussbereich.
Den Beitrag werde ich mal ein paar Menschen weiterleiten.
Danke fürs Weiterleiten 🙂
LG, Walter
.„Glück hängt nicht davon ab, was du hast oder wer du bist. Es hängt nur davon ab, was du denkst.“
Das hat Buddha gesagt, aber, Walter, denk mal an die Leute in Deiner alten Heimat: Bombenhagel, Todesangst – da wird das mit der Gedankenkontrolle schon schwieriger. Und doch ist es der richtige Weg, denn ein Leiden ‚an der Welt‘, wird uns immer ohnmächtig und unglücklich zurücklassen.
Und, damit ich mich hier nicht aufs hohe Ross setze: Mir ist es schon wichtig, dass ich was habe. Geld zum Beispiel ist gedruckte Freiheit.
Danke Dirk für deinen Kommentar.
Natürlich ist das nicht leicht mit der Gedankenkontrolle. Behaupte ich auch nicht. Ich selbst bin ein Schüler dieses Prinzips. Kein Meister.
Hast du Viktor Frankls „Men’s Search for Meaning“ gelesen? Frankl war im KZ und beschreibt genau diese Mechanismen: Wer im Kopf aufgegeben hatte, der starb früher.
Es ist grausam, was gerade passiert. Doch auch (oder gerade) in schwierigen Zeiten sind unsere Gedanken entscheidend, damit wir die Hoffnung nicht verlieren, weitermachen und das Beste aus der Situation machen. Dass wir uns eben nicht auf „die Bösen da drüben“ fokussieren, sondern auf unsere Hände schauen und damit das Beste schaffen, was wir können.
Und bezüglich Geld: Da gebe ich dir Recht. Geld macht nicht glücklich – gibt dir aber eine Wahlmöglichkeit und damit Freiheit.
Meine Werte sind ja die drei Fs: Freiheit, Familie, Fitness. Geld ist da ein Mittel zum Zweck.
Ich schreibe in den nächsten Artikeln noch zu diesem Thema: Geld als Diener und nicht als Meister.
LG, Walter
Das Gelassenheitsgebet von Reinhold Niebuhr hat mich schon viele Jahre begleitet: „Gott schenk mir die Gelassenheit, die Dinge zu akzeptieren, die ich nicht ändern kann, und gib mir den Mut, die Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und schenk mir die Weisheit, das Eine vom Anderen zu unterscheiden.“
Danke, dass du diese Gedanken so anschaulich auf den Punkt gebracht hast. Deine Gabe ist unbezahlbar.
Lieben Gruß
Karen
Hallo Karen,
Danke für dein Lob.
Und das Gelassenheitsgebet rufe ich mir auch immer wieder ins Gedächtnis. Ich habe auch hier darüber geschrieben:
https://www.endlichlebendig.de/gelassenheitsgebet/
Ich habe den Artikel gerade nochmal gelesen und gemerkt: Er passt auf die heutige Zeit wie die Faust aufs Auge 🙂
LG, Walter
Hallo Walter,
ich habe in letzterer Zeit im öfter den Verlust von Autonomie. Sei am Arbeitsplatz und Familie. Ich muss dazu sagen, das ich den Arbeitsplatz innerhalb der Lebenshilfe gewechselt habe, weil mein Arbeitgeber es nicht aus organisatorischen Gründen hinbekommt, das ich nicht mit meinen Vater zusammenarbeiten will, weil in der Vergangenheit soviel vorgefallen ist. Die zwei Bereiche ziehen in ein neues Gebäude und es steht noch nicht fest, wann der Umzug stattfinden soll. Über was ich die Kontrolle habe, das ich Ostersamstag mir ein Brötchen aufbacken, Kaffee trinken, etwas im Haushalt machen, in den Park spazieren gehen, eine Kugel Zitroneneis essen und den Abend bei meiner Mutter verbringen.
L.G. Desiree
Danke für deinen Kommentar Desiree 🙂
Die Arche zu bauen ist gar nicht so eine schlechte Idee…
Vor allem sollte man sie VOR der Sintflut bauen. Sprich: Je früher du anfängst, dich auf dein Leben und deine Ergebnisse zu fokussieren, desto besser 🙂
Da fahre ich gerade in Großenbaum von der A59 runter um meine Eltern zu besuchen und mein Unterbewusstsein sagt mir: Hier wohnte doch mal der Walter.. warum ich das überhaupt noch weiß?! Keine Ahnung.
Abgesehen davon habe ich gerade das Gefühl von Machtlosigkeit, es ist allgegenwärtig, da ich in Elternzeit bin und meinen Job vermisse – bin als Frauenärztin immer auf Achse gewesen und bräuchte mal wieder ne Dosis Adrenalin…
Dann sagt mein Unterbewusstsein: Google doch mal was der Walter so treibt. Der war so intelligent und ein richtiges Mathe-Ass.
Gesagt getan. Was finde ich.. genau das was ich gerade brauche 😃 Danke!
Ich arbeite mal an meinen Gedanken…
Liebe Grüße
Hilal Akbulut geb. Koca
Vom MMG
Hallo Hilal,
Was ein Zufall 🙂 Schön von dir zu hören.
Freut mich, dass dir mein Lesestoff gefällt.
Wenn du mal wieder in Großenbaum bist, dann komm auf einen Kaffee vorbei, dann können wir über die alten MMG Zeiten quatschen 🙂
LG, Walter